„Ich bin nicht kreativ!“ – leider höre ich diesen schrecklichen Satz noch immer sehr häufig von TeilnehmerInnen, bevor der Workshop beginnt.

Ich bin nicht kreativ!

Dieser scheinbar so unbedeutende Satz: „Ich bin nicht kreativ!“ fühlt sich auf meiner Seele jedes mal, wenn ich es von jemandem höre, genau so an, wie das entsetzliche Geräusch der auf einer Tafel kratzenden Kreide.
Was für eine Abwertung! Wie kann jemand so etwas wirklich von sich glauben? Wer oder was hat diesen grausamen Satz in so viele Köpfe scheinbar unauslöschlich eingebrannt?
Und wer sind diese „anderen“? Wer sind diese „begnadeten“ Wesen, denen diese mystische Gabe etwas Neues zu erschaffen zuteil wurde? Woher kommen die Giganten, die geniale Ideen in Sekundenschnelle ausbrüten können? Stammen sie tatsächlich auch von diesem Planeten? Oder sind Künstler, Erfinder und andere Genies irgendwelche Aliens, die auf abenteuerlichen Wegen zufällig auf diesem schönen Planeten gestrandet sind?

Das kreative Tier

Die Geschichte der Menschheit ist eigentlich die Geschichte der Kreativität und nichts ist so menschlich, wie unser Ideenreichtum und unsere Erfindungsgabe.
In der Tierwelt gehören wir Menschen eigentlich zu jenen zahlreichen Spezies, die im Laufe der Jahrtausende währenden Evolution schon längst hätten aussterben müssen.

Wir sind nicht besonders stark. Wir sind nicht besonders schnell. Wir sind nur mässige Schwimmer und fliegen können wir überhaupt nicht. Unsere Nachkommenschaft benötigt eine sehr lange Nestpflege und auch sonst wären wir für den „Kampf ums Dasein“ nicht besonders gut ausgestattet, wenn da nicht diese Gabe wäre, die uns befähigt hat zu erkennen: dass die Jagd erfolgreicher ist, wenn man die Hände nicht zum Laufen benötigt. Dass wir uns gegen Kälte auch durch fremde Felle schützen können. Dass das Feuer nicht nur zerstört, sondern auch wärmen kann, Licht spendet und dazu geeignet ist, Nahrungsmittel zuzubereiten um sie dadurch bekömmlicher und haltbarer zu machen.
Kreativität hat uns ebenso befähigt all unsere anderen Nachteile, die wir im Vergleich mit unzähligen überaus erfolgreichen Arten hatten, durch das Erfinden und der geschickten Nutzung von Werkzeugen zu kompensieren.

Überlebensvorteile Kreativität und Kommunikation

Und nicht nur das. Wir kommunizieren und netzwerken. Wir haben alles Erfundene und all unser Wissen mit anderen geteilt, Generation für Generation haben wir unsere Errungenschaften weitergegeben, damit die Nachkommen ihre Fähigkeiten ebenso verbessern können, wie wir selbst es auch taten.
Wir haben einzig und allen dank unserer Kreativität so lange überleben und eine Zivilisation aufbauen können! Intelligent sind in begrenztem Masse auch andere Tiere, denn auch sie sind in der Lage Informationen über ihre Umwelt zu sammeln und sie so einzusetzen, dass sie ein Überlebensvorteil haben.
Aber die gesammelten Informationen derart auszuwerten und zu kombinieren, dass aus ihnen vollkommen neue Dinge, die das Überleben nicht nur ermöglichen, sondern sogar die Lebensbedingungen von Generation zu Generation verbessern entstehen, das ist eine einzigartige Begabung, über die lediglich der Homo Sapiens verfügt.

Vom Faustkeil zum Smartphone

Zwischen den ersten Faustkeilen und unseren heutigen Smartphones liegen lediglich ca. 1,7 Millionen Jahre Entwicklungszeit. Das ist ein sehr kurzer Zeitraum verglichen mit den 3,5 bis 3,9 Milliarden Jahren, die erst vergehen mussten, bevor sich das Leben auf diesem Planeten überhaupt entwickeln konnte. Und unsere Reise ist noch lange nicht zu Ende; unsere Kreativität wird diesen Planeten weiterhin umgestalten, wir werden eines Tages zu den Sternen fliegen und die Galaxie erforschen.

Warum? Weil wir so sind.

Weil wir gar nicht anders können, als zu gestalten, auszuprobieren, zu entdecken und zu erforschen.
Wie kann also irgendjemand von sich selbst glauben nicht kreativ zu sein? Ein Mensch kann gar nicht „nicht kreativ sein“, das wäre in etwa so, als wäre ein Fisch zwar ein Fisch, könnte sich aber nicht unter Wasser aufhalten.

Unsere Kreativität macht uns zu diesen einzigartigen Lebewesen, die wir sind. Wir müssen nicht einmal lernen kreativ zu sein, denn Kreativität gehört zu unserer Grundausstattung. Allerdings können wir sie verkümmern lassen und weiterhin fest daran glauben, dass Kreativität eine besondere Gottesgabe ist, die nicht jedem zuteil wird. Das ist jedoch eine furchtbare Verschwendung unserer wertvollsten Ressource.

Weltgestalter und Sternenflieger

Also können wir ebenso gut auch endlich erkennen, dass Kreativität etwas zutiefst Menschliches ist; Kreativität, der Reichtum an Ideen und unsere Erfindungsgabe gepaart mit Mut, Tatkraft und der Fähigkeit Visionen zu entwickeln, haben uns ermöglicht, dass wir uns immer wieder an teilweise radikalen Veränderungen der Umwelt und der Gesellschaft anpassen konnten. Wir sind sogar in der Lage uns selbst von Zeit zu Zeit neu zu erfinden.
Es ist soweit. Endlich können wir unsere Kreativität als die wunderbare Gabe erkennen, die sie ist und sie ganz bewusst nutzen lernen.
Jeder ist kreativ und jeder kann durch die Erforschung der eigenen schöpferischen Potenziale etwas dazu beitragen, dass dieser Planet eines Tages für alle Lebewesen zu einer lebenswerten Heimat wird, das wir freiwillig nur dann verlassen werden, wenn uns die Sterne rufen.

Packen wir’s an! Es gibt noch viel zu verbessern!