Seit 20 Jahren führe ich Workshops durch und das Thema „Teams kreativ führen“ spielt immer, mehr oder wenig präsent, eine Rolle.
Vielleicht ist es möglich, zumindest einige meiner Erfahrungen, die ich mit den unterschiedlichsten Teams gemacht habe, auf den Arbeitsalltag zu übertragen. Natürlich geht das nicht 1:1. Dennoch gibt es sicherlich einige Muster, die sowohl in den Workshops, als auch in der Arbeitswelt von Bedeutung sind. Ich versuche im Folgenden zu beschreiben, wie ich meine Rolle in den Workshops verstehe und welche Grundwerte für mich in meiner Arbeit besonders wichtig sind.
Freiheit
Teams kreativ führen bedeutet Freiheit gewähren. Kreativität braucht Freiheit; frei denken, ausprobieren, der Intuition folgen und experimentieren sind unentbehrliche Bestandteile in kreativen Prozessen.
Kreativität bedeutet im weitesten Sinne Vorhandenes derart zu kombinieren, dass aus Bekanntem etwas vollkommen Neues entsteht.
Um den Teilnehmern den größtmöglichen Freiraum gewährleisten zu können, gibt es in den Workshops keinerlei Vorgaben oder Vorzeichnungen.
Ich gebe lediglich einige handwerkliche Tipps, die notwendig sind, da die Teilnehmer keine oder nur wenige Erfahrungen im Umgang mit Farben mitbringen.
Nicht zuletzt ist Freiheit auch immens wichtig, damit die TN ihre Selbstwirksamkeit erfahren, auf ihre Werke stolz sein können und die entstandenen Bilder als ganz persönliches Erfolgserlebnis verbuchen können.
Wenn Menschen ihre Potentiale entfalten sollen, dürfen sie nicht durch völlig unnötige Vorschriften und Erwartungen eingeschränkt werden.
Augenhöhe
Meine Aufgabe in den Workshops, besonders in denen mit dem Thema „Teams kreativ führen“, ist es in erster Linie eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Kreativität ohne Einschränkungen entfalten kann.
Hierfür ist die Atelieratmosphäre sehr wichtig, denn der Raum und die Overalls, die die TN überziehen, tragen sehr viel dazu bei, dass die TN sich aus ihren gewohnten Rollen befreien und somit auch viele ihrer Überzeugungen zumindest temporär aufgeben.
Den TN auf Augenhöhe zu begegnen ist die allerwichtigste Voraussetzung, um sie zu motivieren, das „Beste“ zu geben und angstfrei an die doch für alle sehr ungewohnte Aufgabe heranzugehen. In den Teams gibt es keine „Experten“, denn die meisten haben das letzte Mal während ihrer Schulzeit gemalt.
Das ist natürlich eine sehr gute Basis, wenn es um neue Aufgaben geht, denn es ist von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein Team auf die Expertise eines der Teammitglieder verlässt.
Vision
Verkaufszahlen oder Marktpositionen höher zu stecken sind sicherlich gute Ziele, aber eben nur Ziele.
Eine Vision, die in der Lage ist, die Leidenschaft der Mitarbeiter zu wecken, ist weit mehr als eine plakative Überschrift. Eine wirklich tragende Vision muss unternehmensübergreifend sein und in globalisierten Zeiten den ganzen Planeten mitsamt all seinen Bewohnern umfassen. Das klingt nach sehr viel und ziemlich großspurig, aber es gibt zahlreiche Unternehmen, die sehr erfolgreich mit Visionen arbeiten, die weit über ihre Kernkompetenzen hinausgehen.
Es geht um Sinn und es geht um Nutzen.
Natürlich kann man Autos als Autos produzieren und verkaufen. Es ist aber wesentlich motivierender, wenn es den MitarbeiterInnen bewusst ist, welchen Nutzen die Kunden tatsächlich erhalten.
Mit einem Auto kann man Kinder in eine etwas weiter entfernte Schule bringen, sich selbstständig machen oder sich andere Lebensträume erfüllen. Das Auto steht hierbei jedoch nicht im Zentrum, sondern muss als Mittel zum Zweck gesehen werden. Das ist keineswegs abwertend, ganz im Gegenteil. So wird zu einem Gegenstand, den es in ähnlicher Form milliardenfach schon gibt, eine emotionale und sinnstiftende Brücke gebaut. Also ist es eigentlich sogar eine enorme Aufwertung, denn der Kunde bekommt ein Gesicht und die positiven Veränderungen, die er durch den Kauf eines neuen Autos in seinem Leben bewirken kann, sind weit bedeutender als der Verkauf eines zunächst „seelenlosen“ Gegenstandes.
Meine Bilder sind – solange sie bei mir im Atelier stehen – lediglich Leinwände, die auf der einen Seite mit Farbe bearbeitet wurden. Erst wenn eine Leinwand von jemandem gesehen und in sein Leben einziehen darf, wird es ein Bild.
So geht es mit allen Dingen, sie erhalten ihren Sinn erst durch den Nutzer.
Die Vision sollte aber nicht bei dem Kunden aufhören. Vielmehr sollte sich eigentlich jedes Unternehmen verpflichten, das Leben auf diesem Planeten für immer mehr Menschen kontinuierlich zu verbessern. Es ist sicherlich nicht möglich, von jetzt auf gleich alles nachhaltig und ökologisch korrekt zu produzieren. Ebenso wird es noch einige Zeit dauern, bis alle Menschen am wachsenden Wohlstand, besserer Bildung und Gesundheitsversorgung teilhaben können.
Sich an ethischen Richtlinien zu orientieren, die dem Planeten weit mehr nutzen als schaden, sollte aber ein erstrebenswertes Ziel sein.
Eine glaubhaft und authentisch kommunizierte Vision, die zum Ziel hat, „größtmögliches Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen zu schaffen“ ist der „gute Grund“, der unserem Tun einen besonderen Sinn verleiht.
Selbstorganisation
Menschen haben viele erstaunliche Fähigkeiten, eines davon ist die Selbstorganisation.
Das beste Beispiel hierfür sind große Menschengruppen, die sich in Notsituationen unfassbar schnell organisieren können; jeder findet vollkommen ohne Leitung seinen Platz und weiß sich einzubringen, ohne dass ihm jemand sagt, was er zu tun hat. Bei länger anhaltenden Katastrophen wie Überschwemmungen kann es sogar passieren, dass durch den Versuch, die Hilfskräfte zu organisieren, das Projekt aus dem Ruder läuft.
Eine der wichtigsten Erfahrungen, die die Teams in den Workshops, machen können, ist, zu beobachten und zu erleben, wie reibungslos ihre Zusammenarbeit funktioniert. Ohne Führung finden die Teams sehr schnell zu einer Arbeitsaufteilung, die – ohne besondere Absprachen treffen zu müssen – perfekt funktioniert.
Jeder macht im Rahmen seiner Möglichkeiten das, was er am besten kann und/oder das, was als Nächstes ansteht.
Ich selbst bin immer wieder fasziniert von der Kraft und der Kreativität, die durch die Freiheit, die ich den TN gerne einräume, entsteht. Teams, die sich die Freiheit, sich selbst zu organisieren, einräumen, setzen bei allen Beteiligten eine gute Portion Vertrauen voraus.
Denn das Bedürfnis, Prozesse ständig zu kontrollieren, entspringt in der Regel der Angst, die „anderen“ könnten die Aufgabe gar nicht „richtig“ machen.
Ich habe diese Furcht noch nie gespürt und bin sogar zutiefst davon überzeugt, dass in jedem Menschen viele ungeahnte Potenziale nur darauf warten, dass sie sich endlich zeigen dürfen.
Mut zur Metapher
„Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ – sagte einst das Jahrhundertgenie Einstein.
In den Workshops konfrontiere ich die TN sehr gerne mit Metaphern und auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht einfach zu sein scheint, sich aus dem Gedankenraum der Worte ins „innere Atelier“ zu begeben, es gelingt immer und die TN erhalten durch den Transfer aus der Wortwelt in die Bilderwelt einen vollkommen neuen Zugang zu ihren Themen.
Die Themen in den Workshops sind meistens sehr abstrakt, zum Beispiel wenn es darum geht, die Unternehmenswerte zu malen. Wie malt man Loyalität? Oder Vertrauen? Oder Erfolg? Es wird sicherlich viele Worte geben, mit denen man „Loyalität“ definieren könnte. Vermutlich sogar so viele, dass am Ende das Wesen des Begriffes vollkommen verwässert ist.
Nicht so beim Malen. Dort nähern sich die Teilnehmer erst durch Worte, dann aber immer intensiver durch Farben, Symbole und Formen an die Kernaussage eines Begriffes an und am Ende wird ein Bild entstehen, das jeder, der an dem Entstehungsprozess teilgenommen hat, ohne Worte verstehen wird.
Selbstkompetenz
Selbstkompetenz bedeutet schlicht und einfach, die eigenen Schwächen und Stärken gut zu kennen.
In einer Atmosphäre, in der jeder lediglich beweisen will, dass er besser ist als der andere, kann nicht Gutes entstehen, daher sollte in einem Team jeder ermutigt werden, einen kritischen Blick in den Spiegel zu werfen. Das ist ohnehin notwendig, denn im Spiegel werden nicht nur die vielen Lücken sichtbar, sondern auch die Fähigkeiten. Jeder Mensch hat ein oder zwei besondere Talente, denen jedoch unzählige Dinge gegenüberstehen, die man nicht kann, nicht weiß und vermutlich auch niemals lernen wird.
Zum Beispiel beherrsche ich von den etwa 6000 Sprachen, die auf unserem Planeten gesprochen werden, lediglich zwei richtig gut. Weitere zwei Sprachen kann ich, wenn es sein muss, mit sehr viel Mühe aktivieren. Diese Rechnung gilt auch für viele andere Bereiche.
Die Tatsache, dass wir alle nur einen Bruchteil von dem können/wissen, was tatsächlich möglich wäre, mag vielleicht etwas ernüchternd sein, sie ist jedoch seit Menschengedenken die Basis für jede Art von Zusammenarbeit, Austausch und kollektiver Kreativität, auf der wir letztendlich die menschliche Zivilisation aufgebaut haben.
Fehlertoleranz
Während des Malens kann man eigentlich gar keine Fehler machen, denn es gibt keinerlei Regeln.
Dies ist leider nicht auf den Arbeitsalltag übertragbar, denn dort, wo feste Rahmenbedingungen aufgestellt werden, lauern schon die Fehlerteufel.
Allerdings ist es für mich immer sehr interessant, was die TN als „Fehler“ interpretieren.
Beim Malen ermutige ich die TN, „Fehler“ nicht zu kaschieren, sondern erstmal zu schauen, ob „der Fleck“ nicht eine Bereicherung für das Bild sein könnte und gegebenenfalls sogar besonders betont werden muss. Auch im Alltag gibt es sicherlich unzählige „Fehler“, aus denen vielleicht völlig neue Ideen entstehen könnten, wenn man sie nicht wertend, sondern neutral betrachtet.
Fehler bieten immer zumindest die Chance, aus ihnen zu lernen, sie können aber ebenso eine wahre Schatztruhe für Ideen sein, auf die man ohne sie nicht kommen würde.
Fazit
Es hat sich in der Arbeitswelt seit den Anfangstagen der Workshops, also in den vergangenen 20 Jahren, vieles zum Positiven gewandelt.
Heute ist es kaum vorstellbar, dass noch vor kurzer Zeit das Wort „Spaß“ auf keinen Fall etwas mit „Arbeit“ oder „Lernen“ zu tun haben durfte. So manches Mal möchte ich gerne einige meiner Zeitgenossen, die sich nach der „guten alten Zeit“, in der noch alles an seinem Platz war und seine Ordnung hatte, sehnen, in eine Zeitmaschine setzen und einige Jahrzehnte in die Vergangenheit zurückschicken. Das Thema „Teams kreativ führen“ war noch vor wenigen Jahren wenig beachtet. Es gab kaum etwas an der alten Arbeitswelt, woran man sich positiv erinnern könnte, denn noch nie zuvor waren so viele Menschen wie heute in der Lage, ihr Leben weitestgehend selbst zu gestalten.
Ich glaube übrigens, dass unser aller Leben immer unkomplizierter und produktiver wird, wenn wir den Mut finden, noch mehr Regeln und nutzlos gewordene Konventionen über Bord zu werfen. Im Industriezeitalter mag vieles an Richtlinien, die wir leider heute noch pflegen, richtig, vielleicht sogar absolut notwendig gewesen sein.
Für eine sich in Freiheit entwickelnde Wissensgesellschaft sind diese Richtlinien jedoch teilweise absurd. Die Anforderungen, die unsere Zeit an jeden von uns stellt, sind dem Wesen des Menschen wesentlich näher als die vielen Rollen, die wir glauben spielen zu müssen.
Es ist an der Zeit, die Freiheit, die wir uns geschaffen haben, dafür zu nutzen, dass sich unsere Kreativität vollends entfalten kann, denn sie hat uns zu dem gemacht, was wir sind: Menschen.
Erfahrungen aus den Workshops
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